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Unterwegs war an einem der zahlreichen Seen noch eine weitere wichtige Rast.
Jetzt mußte der Geburtstagskuchen zerlegt werden: Als Tisch hielt ein
Mülleimer her und bei schon wieder einsetzendem Nieselregen am See im
Wald fand der Kuchen jetzt Abnehmer, diesmal reißend schnell.
Doch immer noch fehlten einige Kilometerchen bis Dorpat, welches wir dann am
späten Nachmittag erreichten. Hier erwartete uns zunächst ein neuer Guide,
Anneli aus Reval wollte diesen Part übernehmen, was von Maija und einigen
anderen zwar nicht ganz eingesehen wurde - egal - so erlebten wir eine
Stadtführung mit zwei Reiseführerinnen.
Die angeblich 105000 Einwohner dieser 1030
erstmals erwähnten estnischen Stadt
schienen an diesem Sonnabend größtenteils ausgeflogen zu sein. Auch von
den 10000 Studenten war nur wenig bis gar nichts zu sehen, irgendwie
wirkte dieser angeblich so pulsierende Ort etwas tot. Grund für die erste
Erwähnung war die Eroberung einer estnischen Burg namens Tarbatu, was dann
doch ein wenig an den estnischen Namen Tartu erinnert. Diese - wie die
Einheimischen sagen - Stadt mit Haupt im Gegensatz zur Hauptstadt Reval
war mehrfach zerstört worden, entsprechend durchgängig ist ein großer Teil
der Stadt in einem klassizistischen Stil nach dem Brand von 1750 erhalten.
Nähere Eindrücke bekamen wir auf einem kleinem Rundgang durch die Stadt, der
am Domberg begann. Auf diesem steht jetzt ausnahmsweise einmal kein
kompletter Dom, sondern vielmehr eine Ruine desselben, in dessen Reste
die alte Bibliothek der Dorpater Universität gebaut worden war, das geschah
schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem der ehemals größte Kirchenbau
des Baltikums im Livländischen Krieg im 16. Jahrhundert mehr und mehr
zu einer Ruine geworden war.
Ganz in der Nähe finden sich zwei Brücken, die Engels- und die Teufelsbrücke,
wobei der Name der ersten wohl eher eine Verballhornung des englischen
Stils, in dem sie erstellt wurde, ist. Außerdem trägt sie ein Medaillon mit
dem Portrait des ersten Rektors der Universität nach einer der Neugründungen.
Dorpat als Stadt der Sängerfeste - hier fand 1869 das erste estnische
Gesamtliederfest statt - nutzt diese beiden Brücken auch noch für
Sängerwettstreite zwischen Männern und Frauen. Auch in dieser Gegend finden
sich etliche Denkmäler oder Bauwerke, die mit einzelnen Personen in
Verbindung stehen. So der Bauernjunge K. J. Peterson, der in Riga
studieren wollte, früh starb, und der wohl auch in Riga keine Universität
zu jener Zeit gefunden hätte. Maija sprach davon, daß dort damals keine
zu finden war, aber Anneli hatte immer nur von der Variante ,,Studium in Riga``
gehört, ihr
leuchtete das Problem aber wohl ein. Sinn und Zweck der Aktion war
wohl ein Ausspruch, nämlich ,,Lernen, lernen, lernen, macht den Bauernjungen
zum Herren``. Ein anderes Standbild erinnert an Karl Ernst von Baer, der in
der Nähe geboren war, nicht in Dorpat lehrte, sich mit Anatomie, Zoologie,
Geographie usw. beschäftigt hat. Dem guten Herrn Baer wird übrigens von
Studenten alljährlich am 1. Mai der Kopf gewaschen, üblicherweise mit
französischem Schaumwein. Außerdem liegt in der Nähe dieses Parks auch noch
die hübsche Sternwarte, in der auch der Astronom F. G. W. Struwe längere
Zeit gewirkt hat, wichtiger sind aber vielleicht sogar seine
Vermessungsverfahren. Hier an der Sternwarte ist auch nach der Unabhängigkeit
zuerst die blau-schwarz-weiße Fahne aufgezogen worden. Vorher wurden diese
damals verbotenen Farben nur als Ausdruck des Widerstandes in Form von
Kleidern gezeigt. Schließlich wäre in dieser Gegend noch das Denkmal des
schwedischen Königs Gustav II. Adolph zu erwähnen, und zwar hier als
Gründer der Dorpater Universität. Sein Denkmal war allerdings - nachdem
er erstmals zur ersten Unabhängigkeit aufgestellt worden war -
zwischenzeitlich verschwunden und steht erst seit 1992 wieder hier, angeblich
aus der Bronze irgendwelcher sowjetischer Größen gegossen.
Weiter ging es vom Domberg in die Unterstadt und dort zur Johanneskirche.
Zwar ist diese 1944 schwer beschädigt worden, aber etwas Gutes hatten auch
diese Einwirkungen: Durch Brände kamen an die 2000 Menschenfiguren aus
Backstein wieder zum Vorschein, die lange Zeit verputzt und -gessen waren.
Gerettet wurde die Ruine während der sowjetischen Zeit übrigens dank einiger
vernünftiger Menschen, die den Abbruch der Ruine zu verhindern wußten, sie
wurde sogar unter Denkmalschutz gestellt. Die Renovierungsarbeiten gehen
langsam (aber stetig) voran, Dach und Turm sind zumindest von außen schon
wieder fertig und gedeckt. Die schon erwähnte Universität war zwar schon
1632 eröffnet worden, seit 1802 befindet sie sich ununterbrochen hier,
ab 1809 dann auch im Hauptgebäude, das - wie viele andere Gebäude hier in
Dorpat - auch vom Architekten Krause geplant. Von den Studenten hier sind
übrigens heute 90% Esten, 10 Fakultäten hat die Universität insgesamt. Die
Universität hat viel erlebt in den Jahren ihres Bestehens, abgesehen von
den Umzügen wurde per Dekret im 19. Jahrhundert die Lehrsprache Russisch,
was viele Professores dazu brachte ihren Lehrstuhl zu verlassen.
Ein Kurator wurde in dieser Zeit übrigens einmal gegangen, da er
sich für Gebete für den Zaren nicht für zuständig hielt.
Schließlich besuchten wir noch den Rathausplatz, mit dem Brunnen, dessen
Figur sinnigerweise schon seinen Schirm aufgespannt hatte, sollte das ein
Hinweis auf den gerade kräftiger werdenden Regen sein? Ansonsten zeigt sich
der klassizistische Rathausplatz sehr aus einem Guß, nur ein Haus neigt sich
bedenklich zur Seite. Der schon erwähnte Brunnen vor dem Rathaus wird
übrigens nebenbei häufiger zum Ziel eines kleinen Ulks, so wurde er schon
mit grünem Wasser u.ä. gesehen.
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Dirk in Harburg
2001-08-12