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Weiter auf dem Weg: Vorbei an einigen Restaurationen, die in der
dunklen kommunistischen Zeit besonders reglementierte Rastpunkte für
Touristen waren. Eine Fahrt war damals ohnehin nur bis Sigulda (Segewold)
- etwa
auf halber Strecke zwischen Riga und Cesis - gestattet. Uns war es nun
glücklicherweise möglich, auch an selbst ausgewählten Orten einmal zu rasten.
Hier gab es dann auch die ersten Geburtstagskekse von Bärbel; die Pilzsammler
(einheimische und aus dem Bus) ließen sich bei dieser Rast am Walde davon
allerdings nicht beeindrucken.
Immer noch entlang des Weges ist der Nationalpark Gauja entlang des
gleichnamigen Flusses nicht zu vergessen. Wälder, vereinzelte Seen und
Hügel (sowie eine Straße die mehrfach die Bahnlinie querte) waren
recht angenehm in diesem Naturschutzgebiet von immerhin 10 100
Quadratkilometern Größe. Übrigens sind die erwähnten Hügel gar nicht so
unbedeutend, passierten wir doch hier gerade das Wintersportgebiet
Lettlands, mit einer Bobbahn, sogar Skigebiete findet man in diesem Areal,
am Hang des mit 312 Metern höchsten Berges des Staates. Herr Baedeker (1912)
kannte übrigens noch die Bezeichnung ,,Livländische Schweiz`` für dieses
Fleckchen Erde. Besonders hübsch soll
der Nationalpark im Herbst (Hauptsaison für die Landschaft, natürlich
nicht für das Wintersportgebiet) anzuschauen sein - die Schilderung erinnert
ein wenig an Indian Summer in Lettland; zumindest die Voraussetzungen in
Form von raschen Kälteeinbrüchen, die eine interessante Laubverfärbung
ergeben, sind hier gegeben. Wenn auch nicht näher besichtigt, so darf doch
an dieser Stelle Segewold als zentraler Ort nicht vergessen werden. Immerhin
lag in dieser Gegeng die Grenze zwischen Bischofs- und Ordensland,
entsprechend natürlich durch zwei Burgen - für jede Partei eine - befestigt,
die hier allerdings auch schon vor der Ordenszeit standen. Zuvor war einer
der Burgherren Fürst Kaupo, der als einer der ersten hier christianisiert
wurde, das Volk sah ihn deshalb allerdings zunächst als Verräter an,
angesichts der 1000 Goldstücke, die er in Rom vom Pabst erhalten hat, ein
vielleicht nicht völlig abwegiger Gedanke.
Jetzt aber zum (mit Verspätung) erreichten Ziel Cesis oder auch Wenden. Hier
bietet sich vielleicht ein kleiner Exkurs über Namen an: In russischer Zeit
hieß der Ort auch Wenden, natürlich kyrillisch umschrieben, parallel - wie
übrigens an vielen Orten in dieser Gegend - war ein völlig anderer
lettischer Name in Gebrauch, Cesis, Baedeker umschrieb es 1912 mit Zehsis.
Der Name Wenden lehnt sich übrigens an den Namen eines Bächleins namens Venta
an. Entsprechend den verschiedenen gerade aktuellen Herrschern gab es
natürlich auch noch Nebenformen: russische, polnische, schwedische
Abwandlungen.
(Namen verwende ich in diesem Bericht übrigens ohne irgendwelche
Hintergedanken nach eigenem Geschmack
in der mir jeweils geläufigsten Form, es käme schließlich auch kaum jemand
in unserer Gegend auf den Gedanken, nach Kobenhavn, Praha, Brno oder Roma
zu fahren, also bleibe ich auch bei Riga, Dorpat usw.)
Cesis - heute mit etwa 20 Kilobewohnern1 eine der 26 Bezirksstädte Lettlands - erhielt 1323
Stadtrecht, war Hansestadt an der damals schiffbaren Gauja und schon immer
das kulturell-geistige Zentrum des nördlichen Livlands. Zeugen dieser
bedeutsamen Vergangenheit sind immer noch die noch recht gut erhaltene
Burgruine der ehemligen Ordensburg, die wir zwar nicht von innen besichtigen
konnten, Stadtmauer und die Johanneskirche als ehemalige Ordenskirche.
In ebendieser Ordenskirche konnten wir dann auch trotz unseres Zuspätkommens
noch einem kleinen Konzert auf der romantischen Orgel2 lauschen. Neben dem
gespielten Johann Sebastian war hier noch die Organistin bedeutsam, hatte
diese doch vor noch gar nicht allzulanger Zeit 3 in Neuhaus konzertiert.
In die Kategorie ,,viel kopiert, doch nie erreicht`` gehört in dieser Kirche
noch das Altarbild ,,Christus am Kreuz`` des Esten Johann Köhler von 1856.
Als Ordenskirche wäre die Johanneskirche ohne Grablegen diverser
Ordensleute nicht komplett, vor allem die Büste des Wolter von Plettenberg,
hatte es vielen angetan. 1494 Landmarschall, 1502 Ordensmeister und
1535 in seiner Grablege hat er es als einer der bedeutenden Ordensmeister
des Livländischen Ordens sogar bis in die Münchner Walhalla gebracht.
Für die lettische Identität ist noch ein Glasfenster in der Kirche. Während
alle anderen Zeichen der lettischen Unabhängigkeit in sowjetischer Zeit
vernichtet worden waren, konnte hier ein Fenster mit der Darstellung des
lettischen Wappens die Zeit überdauern. Passend dazu wurde auch die
lettische Fahne hier zuerst genutzt, allerdings schon in der Ordenszeit,
womit wir wieder beim Ritterorden wären.
Die schon erwähnte Ordensburg konnte sich hier nur derart gut erhalten, weil
sie zu einem Schloß umgestaltet wurde, das auch seit dem 17. Jahrhundert
ständig bewohnt war. Diese im 13. Jahrhundert entstandene Burg wurde -
so sagt man - übrigens unter tatkräftiger Mithilfe der Bewohner Wendens
erbaut. In einer Kette reichten sich die Bewohner - Männlein und Weiblein
- die Steine zu und den Burgberg hinauf, letztere übrigens mit drei
Stillpausen, wenn sie Mutter eines Knabens waren, mit deren zwei für Mädchen.
Natürlich gibt es auch in Cesis eine unvermeidliche Freilichtbühne (für die
Sängerfeste natürlich), die hier sehr malerisch unterhalb der Burgruine lag,
und natürlich noch für Bilder und Lieder unserer Reisegruppe trotz des
zwischenzeitlich einsetzenden Regens in Beschlag genommen wurde.
Bis zur Abfahrt war noch Zeit, die letzten Lat in Naturalien umzusetzen,
der Markt inmitten der Stadt lud dazu ein. Ich selbst wurde zwar wegen der
eher kleinen Mengen etwas seltsam angesehen, dennoch konnte ich, nicht
zuletzt dank eines kleinen Krämerladens, alles umsetzen. Dort bekam man
noch jedes Stück Ware von der Verkäuferin hinter der Ladentheke
ausgehändigt, was zwar manchmal etwas schwierig war, aber dank Lou van Burg
kennen wir ja das Goldener-Schuß-Prinzip4. Die durch die
Kopplung an den europäischen Währungskorb äußerst stabilen letzten Lats
konnte ich hier gegen etwas weichere Euro eintauschen; diese
Schokoladentaler schmeckten wirklich sehr gut (und kosteten per Stück etwa
vier Santimas). Danach ging es weiter gen Estland.
Vor der Grenze erfuhren wir noch ein wenig über das lettische Brauchtum:
Passend zu der gerade erwähnten Johanneskirche ist das Fest,
nämlich das
Johannisfest am 24. Juni. Dazu nehme man Janis - Johanniskinder, singe
kräftig Dainas, binde für die Johannisnacht Dornenkränze als Hexenabwehr
für Ställe, auch als Schutz für Haus und Hof, wichtig in dieser Nacht auch
die Farnkrautblüte, und damit schließlich das leibliche Wohl nicht zu kurz
kommt, gehört zu diesem Anlaß noch Johanniskäse5 und Johannisbier.
Nächster markanter Punkt (nachdem wir die Bahnlinie wieder mehrfach gekreuzt
hatten) war dann der Ort Valka auf lettischer Seite (dt. Walk) mit dem
Grenzübergang nach Estland. Auf der anderen Seite hieß der Ort dann
plötzlich Valga, er wurde nämlich durch die Grenzziehung 1920 zwischen
Lettland und Estland geteilt, übrigens durch eine britische Kommission, da
Letten und Esten sich nicht einigen konnten.
Der Grenzübergang wirkte hier - auf einer
gewöhnlichen Landstraße - wenig spektakulär und hatte etwa den Charme
einer ländlichen Tankstelle. Damit hatten wir dann auch das letzte und mit
etwa 45000 Quadratkilometern Fläche kleinste Land auf unserer Reise
erreicht.
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Dirk in Harburg
2001-08-12