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Burgos und umzu

Dirk Baack

Sonnabend, 10. April 1999

In Ermangelung einiger kleinerer und größerer Pannen, wie sie zuweilen in Ägyptenland an meinem damaligen Protokolltag eintraten, und ebenso ohne einen passenden Roman, den man in den Tag einflechten kann (ober umgekehrt), werde ich jetzt versuchen die Ereignisse des fünften Tages der Studienreise entlang des Jakobswegs zu schildern. Findet jemand Fehler - beim Vergleich mit seinem Reiseführer - so darf er sie gerne behalten und gleichzeitig bedenken, daß dieser Bericht eben kein Reiseführer zu werden gedenkt (und auch der Verfasser hat es nicht beabsichtigt). Nach Frühstück und Andacht stand zunächst eine kleine Wanderung durch Burgos auf dem Programm, bei dem man an diesem Tag erfreulicherweise keine Pannen erlebte. Es war zwar morgens noch ein wenig frisch, aber das war in 900 Metern Meereshöhe zu dieser Zeit durchaus zu erwarten, ebenso wie viel Sonne (nicht zuletzt der Topographie wegen) und entsprechend auch kalte Winter, also ein kontinentales Klima. Nach dem Verlassen des Hotels Fernán Gonzáles führten uns also Monica und unser Weg über den Río Arlanzón zum ersten der fünf alten Tore von Burgos, dem Arco de Santa Maria. Dieses wurde - im Gegensatz zur platanenumsäumten Flaniermeile ,,Paseo del Espolón`` am rechten Ufer des Flusses - gerade nicht restauriert, hatte aber bereits im 16. Jahrhundert auf Veranlassung Karls V. seine heutige Gestalt (im Rahmen einer Renovierung) erhalten. Entsprechend findet man auch ihn als Statue oberhalb des Torbogens, der vom Cid und dem Namensgeber unseres Hotels flankiert wird. Letzterer war es übrigens, der die Stadt im zehnten Jahrhundert durch Erhebung zum Grafschaftsmittelpunkt der Bedeutungslosigkeit entriß. Später wurde die Stadt dann durch Wollexport sehr reich und politisch als Hauptstadt Castiliens und Leóns bedeutsam. Weiter ging es durch das Tor hindurch zur Kathedrale von Burgos. Gut, daß wir diesen Weg im 20. Jahrhundert gehen können, denn im Mittelalter waren viele dieser Straßen noch Kanäle. Die allerdings inzwischen nicht mehr bestehen, lediglich Nebenfüsse des Arlanzón, die streckenweise nicht kanalisiert und überbaut sind, stellen den letzten Rest dieses Kanalsystems dar. Die dort sichtbare Kathedrale von Burgos, betrachtet man geschickterweise noch aus dem Tor heraus ohne die Turmspitzen zu sehen. Dann hat man nämlich den Eindruck der ursprünglichen Planung aus dem 13. Jahrhundert und sieht eine frühgotische Fassade, die der von Notre Dame in Paris gleicht. In den vier Jahrhunderten Bauzeit fügte dann im 15. Jahrhundert ein Kölner Baumeister den Turmstümpfen noch hohe Spitzen hinzu, inzwischen in Flämischer Gotik. Ein Wort noch zu diesem Informationsreichtum, den ich versuche, im folgenden Text etwas einzuschränken: Hier trafen wir glücklicherweise erstmals auf eine Fremdenführerin, deren Vortragsweise von Monica gut übersetzt werden konnte. Aber auch die spanischsprechende Führerin selbst hinterließ einen hervorragenden Eindruck; schade, daß sie uns nur beim Kathedralenbesuch zur Verfügung stand. Also hinein in die Kathedrale! Der Zeitpunkt hätte zwar günstiger sein können, da die Messe kurz bevorstand, aber - wie so oft - schien das nur wenige zu (be)kümmern, vor allem nicht die zahllreichen Touristen. Im von zwei Seitenschiffen flankierten, 27 Meter hohen Hauptschiff ein Renaissance-Altar, der dort steht, wo sich der Kopf Christi am Kreuz befunden hätte, denn der Grundriß der Kathedrale ist der eines lateinischen Kreuzes1. An der Vierung, die Monica gern als Kreuzgang bezeichnete, befindet sich eine in ganz Spanien einzigartige Kuppel von 50 Metern Höhe, die sich in ihrem Renaissancestil mit arabischen Einflüssen deutlich von den übrigen gotischen Gewölben abhebt. Es ging sogar das Wort um, ,,Engel haben es gebaut, nicht Menschen``, so leicht und lichtdurchflutet wirkt dieser Zentralpunkt der Kathedrale. Unterhalb dieser Kuppel fanden wir - und besonders ein mitreisender Altphilologe - eingelassen in den Carrara-Marmor des Kathedralenfußbodens die Grabplatte eines Landarztes namens Rodericus Didaci und seiner besseren Hälfte. Was sollte Campidoctor schon anderes heißen als Landarzt?2 Hier liegt also Rodrigo Díaz de Vivar, der Cid, auch el Campeador3 gemeinsam mit seiner Gemahlin, Doña Jemina unter einer einfachen Grabplatte, allerdings erst seit ihrem Umzug hierher aus einem Kloster, da es dort im vorigen Jahrhundert zu unsicher für diesen spanischen Nationalhelden wurde. Wie an manchem Bauwerk auf unserer Reise fanden wir auch hier wieder einige Baustellen vor: Manche Seitenkapellen wurden oder waren gerade restauriert worden, aber nur fünf und die Hauptfassade werden von der spanischen katholischen Kirche bezahlt, weitere Renovierungen werden von großen Firmen und Banken finanziert und natürlich (zu einem kleinen Anteil) von Touristen, die das gleich via Kreditkarte in der Kirche erledigen können. Immer noch kurz vor der Messe konnten wir uns das Chorgestühl mit seinen insgesamt 103 Sitzen ansehen. Dort sahen wir auch Emanzipation auf spanische Art: Hier staubte ein Mann gerade das Chorgestühl ab, der gut damit beschäftigt war, das Nußbaumholz der Figuren aus dem Neuen (obere Reihe) und Alten Testament (untere Reihe) zu reinigen. Noch schnell ein Blick auf die beiden Orgeln oberhalb des Chores, an denen uns hier zumindest die Spanischen Trompeten - einige waagerecht in den Kirchenraum hineinragende Zungenpfeifenregister - auffielen. Dann konnten wir den Chor den 24 Priestern für die gregorianische Messe überlasssen, Don Mauricio, der - in Holz - auf den Bischofsplatz im Chor blickt, wird schon aufpassen. Hier sah man auch endlich einmal den Grund für die riesigen Notenschriften, denn auch der zugehörige Notenständer stand mitten im Chor. Da diese Messe wohl eine dreiviertel Stunde gedauert hätte, schlossen wir uns den eiligen Spaniern an, die die Messe lieber in einer Seitenkapelle hören, wo sie schneller endet. Besichtigen wir also einige dieser Kapellen: Unterwegs sahen wir noch die Glasfenster im Querschiff, die zwar ursprünglich aus dem 13. bis 14. Jahrhundert stammten, aber bis auf die Rosette im Querschiff im letzten Jahrhundert bei einer Explosion zerstört wurden. Vorbei an einer Kapelle, deren Renovierung von meinen Berufskollegen finanziert wurde, zur Kapelle mit dem Christus von Burgos. Auffällig dort war vor allem die Christusdarstellung: Eine mit Büffelleder überzogenen Holzfigur (Bart, Haare und Nägel sollen von einem Menschen stammen) trägt einen ungewöhnlich langen Rock, in der gerade aktuellen liturgischen Farbe. Um die beliebte Frage im Hinblick auf die Schotten zu beantworten: Nichts, denn der Rock dient in erster Linie dazu, Gelenke dieses beweglichen Standbildes zu verdecken, dieses ist nämlich - je nach Anlaß - auch liegend oder gekreuzigt (Monica: bei einer Cruzification) zu verwenden. Ganz in der Nähe fand sich ein technischer Höhepunkt (zumindest zur Schaffenszeit), eine deutsche Uhr, mit einer Figur, die beim Stundenschlag den Mund öffnet. Deshalb wird sie im Volksmund auch als ,,Fliegenschnäpper`` bezeichnet. Aufpassen müssen nur diejenigen, die diese nahe der Decke hängende Figur betrachten, denn, während sie den Kopf in den Nacken werfen, könnte sich durchaus eine Fliege in den offenen Mund verirren. Im Süden der Kathedrale liegt der Kreuzgang mit Bibliothek aus dem 13. Jahrhundert. Vermutlich befindet er sich der Sonnenwärme wegen im Süden; denn auch das am Durchgang dorthin stehende riesige Kohlebecken ist nicht als Heizung für die Türsteher dort gedacht, sondern einfach für den Weihrauch. Wegen Renovierungsarbeiten war auch hier nur eine provisorische Ausstellung zu sehen. Die begehbaren Kapellen hier am Kreuzgang sind größtenteils Grabstätten reicher Familien gewesen, wobei der Zahlende in der Regel inmitten der Kapelle begraben liegt, die Familie um ihn herum. Trotz der vielen dargestellten Hunde auf den Grabplatten der Begrabenen handelt es sich hier nicht um einen frühen Tierfriedhof, vielmehr soll der Hund Treue ausdrücken, sei es zum König, sei es zur Familie. Hier am Kreuzgang war auch der Koffer4 (und nicht der ,,Sarg``) des Cid zu finden, zu dem natürlich auch noch eine kleine Geschichte gehört: Als er nach seiner Verbannung aus Kastilien knapp bei Kasse war, lieh er sich für Soldaten Geld von Juden aus Burgos. Als Sicherheit hinterließ er diesen verschlossenen Kasten mit - wie Monica sagte - angeblich ,,goldigen Steinen`` als Sicherheit, der aber erst nach einem Jahr geöffnet werden sollte. Der Cid gab dann das Geld rechtzeitig zurück, so daß die Sicherheit nicht in Anspruch genommen werden mußte - glücklicherweise, denn im Koffer fanden sich nur Steine. Aber das Ehrenwort des Cid, welches er gegeben hatte, wog dies alles auf, es war wertvoller als alles geliehene Gold. Danach folgte die Beichtigung der wohl schönsten Kapelle der Kathedrale, die Kapelle de los Condestables. Condestables waren hohe Minister des Königs, auch Kronfeldherren usw. Den Begründer dieser Kapelle, Don Pedro Fernández de Velasco, samt seiner Gattin finden wir hier als Skulpturen auf dem Grabmal, seine Frau mit dem schon erwähnten Hund zu Füßen. Die Kapelle wird von einer ,,transparenten`` Kuppel, einem achtzahnigem Stern mit aufwendiger Verzierung, überkrönt. Ansonsten ist die von Simón von Köln (auch Hans und Franz aus der gleichen Baumeisterfamilie wirkten entscheidend an der Kathedrale mit, wobei Hans oder Johann oder Juan der Gründer und dieser Bausmeisterdynastie ist) entworfene Kapelle ist ansonsten reich mit plateresken5 Kunstwerken ausgestattet, so dem Hauptaltar der Kapelle mit der gesamten Christusgeschichte und einem Seitenaltar eines flämischen Baumeisters. Neben dem Grabmal des Condestable und seiner Frau findet man hier auch noch das seines ältesten Sohnes, das allerdings leer ist, da er anderenorts seine letzte Ruhestätte fand. Außerdem entdeckt man hier noch ein Gemälde, welches die Maria Magdalena darstellt. Es wird der Schule Leonardo da Vincis zugeschrieben. Vor dem Verlassen der Kathedrale führte der Rundgang durch die Kirche noch an einer echt italienischen Renaissancetreppe vorbei, die ursprünglich nur dazu diente, den Kirchgängern von oberhalb der Kathedrale einen bequemeren Zuweg zu verschaffen, denn von der flußzugewandten Seite bis zur gegenüberliegenden Mauer hebt sich das Straßenniveau schon um etliche Meter, schließlich liegt Burgos letztlich am Abhang des Burgberges. Als Eingang wird die Treppe allerdings nicht mehr benutzt, nur zu Ostern wird sie für die schon erwähnte Christusfigur (diesmal liegend) verwendet. Natürlich konnte auch an diesem Tag der Bus nicht ungenutzt bleiben, zum Monasterio de Las Huelgas ging es entlang des Río Arlanzón, vorbei an der Puente de San Pablo mit Statue von Familie und Freunden des Cid und einem Reiterstandbild des Cid auf der Plaza del Cid dahinter. Weiter entlang gegenüber des Paseo de la Isla, einem botanischen Garten am Fluß, der ganz in der Nähe des Stadtzentrums von Burgos liegt. Das Zisterzienserinnenkloster ,,Monasterio de las Huelgas Reales`` wurde im 12. Jahrhundert von Alfons VIII. gegründet. Als Königsgründung war es lange Zeit sehr mächtig und reich, die Äbtissin hatte Ansehen und Macht wie ein Bischof und war bis ins letzte Jahrhundert noch stets von königlichem ,,Geblüt``. Man sagte sogar, die Äbtissin hier sei einem Papst als Frau würdig. Der dreischiffige Bau der Klosterkirche diente nicht zuletzt auch als Grablege der kastilische Könige; die Reihe der hier begrabenen Könige beginnt beim Gründer und seiner Frau Doña Leonore Plantagenet (Schwester des Richard Löwenherz von England), aber auch der früh verstorbene Sohn Alfons VIII. Don Enrique. Dessen früher Tod führte zu einer Vereinigung der Königreiche von Kastilien und León durch Heirat seiner Schwester mit Fernando II. von Kastilien und León. Nahezu alle Gräber (Ritter, Infanten, ...) wurden jedoch von Napoleons Soldaten geplündert. Aus den Resten von zwei nicht geschändeten Gräbern konnten man jedoch noch ein sehr interessantes Museum mit mittelalterlichen Stoffen ausstatten. Anhand der recht gut erhaltenen Kleidungsstücke und der Schriften Alfons X. des Weisen kann man sich den Aufbaus der Kleidung im 13. Jahrhundert erschließen: weißes Hemd - ein Brial - Cinturon (Schleife) - Aljuba (etwa eine Tunika) - dann Pellote - schließlich Capa und Mantel6. Dies alles wurde von den Männern knielang, von Frauen deutlich länger getragen, diese mußten ihr Kleid beim Gehen sogar anheben. Das Kloster (auch als ehemaliger Königssitz) zeigt im Baustil viele arabische Einflüsse, vor allem deshalb, weil Alfons VIII. hier Mauren arbeiten ließ, nachdem er einen großen Sieg über sie errungen hatte. Doch nicht nur er als großer Anhänger der maurischen Architektur sorgte für eine entsprechende Ausgestaltung, auch beim Bau des Kreuzganges im 13. Jahrhundert ließ man sich von maurischen Einflüssen leiten, die Dekoration ähnelte ursprünglich der der Alhambra. Reich ausgestattet ist auch der Kapitelsaal mit golddurchwirkten Teppichen, sogar Koransuren aus dem Zelt des Maurenkönigs findet man dort. Heute wird das Kloster von etwa 35 Zisterzienserinnen bewohnt, die sich täglich zum Gesang versammeln, der dem gregorianischen ähnelt. Die Gruppe ist wohl ,,bekannt aus Funk und Fernsehen``, nur leider gab es hier keine CDs zu kaufen, da sie wohl gerade ausverkauft waren. In Burgos gab es dann allerdings diese Probleme beim Einkauf nicht mehr. Aufgrund der Entfernung zu unserem Hotel konnte wohl niemand den Plan realisieren, abend noch an der Messe hier teilzunehmen. Letzter offizieller Programmpunkt dieses Tages war das Karthäuserkloster Miraflores. Gegründet wurde es zwar von Juan II. von Castilien im 15. Jahrhundert, den eigentlichen Anstoß dazu gab aber seine Tochter Isabella die Katholische. Die Klosterkirche hier ist nur ein einschiffiger Bau, der in drei Teile gegliedert ist, der erste für die das Volk, der zweite, näher zum Altar hin, für die gewöhnlichen (Laien-)Brüder und der dritten mit dem Chor der Padres in den man über Himmelpforten (Felix Porta Coelis) gelangt. Dort, im Altarbereich, finden sich auch die Alabastergrabmäler Isabellas und ihrer Eltern als Klosterstifter. Isabella blickt von ihrem Grabmal aus zu ihrem Sohn, dessen sehr filigran gearbeitetes Grabmal dort ebenfalls zu finden ist. Ebenbürtig ist diesen Grabmäler noch der gewaltige Altaraufsatz, der die gesamte Rückwand der Kirche überdeckt. Auffällig ist bei der Abendmahlsdarstellung auf dem holzgeschnitzten, goldverzierten Retabel, daß hier Jakobus bereits im Pilgergewand mit Pilgermuschel dargestellt wird. Bedeutend ist außerdem noch das Bild Mariä Verkündigung von Berruguete (bei dem die Verkündigung als ein auf einem Sonnenstrahl zu Maria hingleitendes Kind dargestellt wird. Der Nachmittag war ohne gemeinsames Programm, aber zufälligerweise hat doch ein Großteil der Gruppe noch den Burgberg nordwestlich der Stadt erklommen und den Blick von der Burgruine aus in die Umgebung genossen, je früher desto besser, denn am späten Nachmittag trübte es ein wenig ein, während zuvor noch ein strahlend blauer Himmel die Photos zieren konnte. Der Abstieg führte dann an einer Kirche, der Iglesia de San Nicolás, im Schatten der Türme der Kathedrale Santa Maria vorbei, die an diesem Tag für einige Hochzeiten genutzt wurde. Ansonsten ist sie vom geistigen Standpunkt sehr bedeutsam, denn für nur 100 Peseten kann man - gemäß einem dort angebrachten Schild - die Erleuchtung erhalten. Zu allem Überfluß konnte man dann auch gleichzeitig diese schöne Kirche in voller Pracht sehen, da die gerade erworbene Erleuchtung dazu führte, daß etliche Scheinwerfer sich auf wundersame Art einschalteten.


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Dirk in Harburg 2001-08-12